Zur Entwicklung mittelständischer Unternehmen in
China
Die in den neunziger Jahren sehr hohen Wachstumsraten der
chinesischen Privatwirtschaft haben diesen noch jungen Sektor zu einem
wesentlichen Stabilitätsfaktor und zum Motor der Wirtschaftsentwicklung des
Landes gemacht. Staat und Partei setzen darauf, dass die Privatunternehmen
freigesetzte Mitarbeiter aus restrukturierten Staatsunternehmen und reduzierten
Behörden absorbieren. Die Goldgräberzeiten nähern sich jedoch dem
Ende, der Wettbewerb ist wesentlich schärfer geworden. Nach dem
WTO-Beitritt werden weitere, noch leistungsfähigere Konkurrenten auf dem
Inlandsmarkt erwartet.
In der Gründerzeit Mitte der achtziger bis Ende der
neunziger Jahre bestand die größte Herausforderung für
Privatunternehmen darin, sich gegen behördliche Diskriminierung zu
behaupten. Ein typischer Unternehmer war dann erfolgreich, wenn er durch gut
gepflegte persönliche Beziehungen die eigentlich widerwilligen Beamten dazu
veranlassen konnte, ihren hohen Ermessensspielraum in seinem Sinne
auszuschöpfen: er erhielt regelmäßig Aufträge von den
staatlichen Großkunden; er konnte ohne formale
Außenhandelsgenehmigung im- und exportieren; er zahlte keine oder nur
geringe Steuern; er konnte bei staatlichen Banken Kredite aufnehmen, obwohl
diese noch gar keine Prozeduren für Kreditwürdigkeitsprüfungen
entwickelt hatten; er erhielt Ausnahmegenehmigungen für eigentlich der
Privatwirtschaft verschlossene Wirtschaftsaktivitäten. Wie er aber seinen
Betrieb führte, war nicht so wichtig.
Heute ist die Privatwirtschaft nahezu gleichberechtigt,
zumindest auf höchster politischer Ebene. Die mittleren Beamten haben
weniger Ermessensspielraum, die Regeln sind klarer und objektiver geworden.
Gegen Vorteilsannahme wird härter vorgegangen. Gute Beziehungen allein
reichen heute nicht mehr aus. Ein Privatunternehmer ist heute erfolgreich, wenn
er gutes Personal und eine moderne Produktionstechnik hat, mit Produkten und
Service die Wünsche der Kunden erfüllt, und wenn sein Betrieb
effizient wirtschaftet. Denn heute müssen sich die Privatunternehmen
primär nicht mehr gegen die staatliche Bürokratie, sondern gegen
einander behaupten.
Mit der Umorientierung haben weitsichtige Privatunternehmen
schon vor Jahren begonnen. Einigen hat die Kooperation mit ausländischen
Partnern dabei geholfen. Nun entwickelt sich daraus ein Trend, der langsam den
breiten Mittelstand erfasst: der Fokus wandelt sich von außen nach innen,
von den Rahmenbedingungen auf den eigenen Betrieb, von offensichtlichen
Problemen auf verhüllte. Noch immer fehlen Kapital, moderne Technologie,
Managementwissen, Auslandskontakt, Fachpersonal. Aber immer mehr Unternehmer
erkennen die geringe Arbeitssorgfalt bei sich selbst und den Mitarbeitern als
Problem, immer mehr bemerken die eigene
Kreativitätsschwäche.
Ein Mangel an Kreativität im Unternehmen kann viele
Ursachen haben. Die meisten davon plagen Unternehmen weltweit, aber es gibt auch
einige "chinesische Besonderheiten". Kreative Menschen brauchen Freiraum. Sie
brauchen eine Umwelt, die sie nicht ablehnt, sondern fördert, wenn sie
etwas anders machen als alle anderen vorher. Die konfuzianische Tradition mit
ihrem strengen Hierarchiesystem steht dem entgegen: was der Vorgesetzte oder der
ältere Bruder sagt, ist kritiklos und möglichst ohne eigene Gedanken
zu akzeptieren. Auch wurden in der jüngeren politischen Geschichte kurze
Phasen der Toleranz gegenüber Kreativität und Vielfalt immer wieder
von Phasen der Ausrichtung auf gesellschaftlich konformes Verhalten
abgelöst. Zwei Generationen haben intensiv erlebt, dass Kreativität
keine nützliche Charaktereigenschaft ist. Die Talente der vielen potentiell
kreativen Menschen in China wurden nicht gerade ermutigt.
Die relative Kreativitätsschwäche chinesischer
Unternehmen ist der Hauptgrund für die geringe Durchsetzbarkeit von
Urheberschutzrechten, für plötzliches Überangebot auf einzelnen
Märkten (nachdem ein Unternehmen ein erfolgreiches Produkt herausgebracht
hat, das dann sehr schnell von vielen anderen Unternehmen kopiert wird), und
für das große Misstrauen, das Unternehmer der selben Branche und
Region einander entgegenbringen.
Auch den meisten chinesischen Privatunternehmern fällt es
schwer, kreative Menschen zu akzeptieren. Sie sind stolz darauf, im eigenen
Betrieb das letzte Wort zu haben, und dulden nur zögernd andere Meinungen.
Gute Ideen nehmen sie zwar gerne auf, aber nur wenige waren bisher bereit, im
eigenen Unternehmen ein Klima zu fördern, das gute Ideen hervorbringt. Viel
lieber schauen sie auf neue Ideen aus dem Ausland. Sie sind aber echte,
gewinnorientierte Unternehmer, die daran gewöhnt sind, Probleme anzupacken
und zu lösen, wenn sie nur erst einmal erkannt sind.
Mit dem Trend zur Konzentration auf die Lösung
innerbetrieblicher Schwächen wird auch der Kreativität langsam mehr
Freiraum gegeben. Wege zur Förderung der Kreativität müssen aber
noch gefunden, entwickelt und umgesetzt werden. Auch dabei schauen die
mittelständischen Unternehmer und die sie vertretenden
Wirtschaftsverbände und Industrie- und Handelskammern zunächst auf
Ideen und Methoden aus dem westlichen Ausland.