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Auf dem Weg in die große Welt (Zhong Ming)
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Auf dem Weg in die große Welt (Zhong Ming)

Das kleine Restaurant Yue Bin befindet sich in einer Seitengasse in der Nähe der Wangfujing, einer bekannten Einkaufsmeile mitten in Beijing. Im Vergleich zu den zahlreichen schicken Restaurants an jeder Straßenecke der Stadt ist Yue Bin klein und bescheiden. Kaum jemand würde das Restaurant beim Vorbeigehen registrieren. Restaurants wie Yue Bin gibt es heute in China wie Sand im Meer.

Es war aber eine Sensation, als Yue Bin vor 21 Jahren eröffnete. Nach mehr als 30 Jahren sozialistischer Planwirtschaft in China war Yue Bin das erste Restaurant, das nicht mehr vom Staat, sondern von Privatpersonen betrieben wurde.

An dieses historische Ereignis kann sich heute kaum noch jemand erinnern. Für die Stammgäste ist ein Besuch im Yue Bin, wo übrigens hervorragendes Essen serviert wird, fast nostalgisch. Denn die Privatwirtschaft ist innerhalb des letzten Jahrzehnts längst über dieses Kleingewerbe-Modell hinausgewachsen.

In fast allen Branchen gibt es inzwischen renommierte Vertreter von Privatunternehmen: Huawei aus Shenzhen baut Ausrüstungen für chinesische Telefonnetze, Zhengtai aus Wenzhou ist chinesischer Marktführer im Bereich Niederspannungsschaltschränke, Gelanshi aus Kanton ist der größte Hersteller für Mikrowellengeräte in China, und die größte Softwarefirma Chinas, Yongyou in Beijing ist auch in privaten Händen. Die Liste kann mühelos fortgeführt werden.

Einen neuen Meilenstein setzte der Börsengang der ersten privaten Bank - China Minsheng Banking Corp. (CMBC) am 29. November 2000. Liu Yonghao und Zhang Hongwei, die zwei größten Anteilseigner von CMBC, gehören zu den bekanntesten Privatunternehmer Chinas. Der Börsengang wurde 100fach überzeichnet. Darin zeigt sich ein großer Vertrauensvorschuß in die Zukunft der chinesischen Privatwirtschaft.

Heute gibt es landesweit 1,5 Millionen Privatunternehmen und sie beschäftigen mehr als 100 Millionen Menschen, fast soviel wie die Beschäftigten im staatlichen Sektor. Mit einer jährlichen Wachstumsrate von 20% erwirtschaftet der Privatsektor inzwischen ein Drittel des chinesischen Bruttoinlandsproduktes.

In diesem atemberaubendem Tempo sind viele Privatunternehmer auch reich geworden. Die 50 reichsten Personen in China besitzen laut Forbes zusammen ein Vermögen von 10 Milliarden US$, also durchschnittlich 200 Millionen US$ pro Person. Die meisten von Ihnen sind Privatunternehmer. Ihre Fotos erscheinen tagtäglich auf den Titelseiten der Wirtschaftsmagazine und sie sind Idol von Millionen Chinesen, die erfolgreich sein möchten.

Im Ausland aber wird die Entwicklung der chinesischen Privatwirtschaft wenig wahrgenommen. Der Börsengang von CMBC war der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nur eine kleine Meldung wert.
„Die chinesischen Privatunternehmen können aber für die deutsche Wirtschaft, insbesondere für den Mittelstand sehr interessant sein, als Kunden oder als Kooperationspartner“, so Dr. Detlef Böhle, DIHT-Referatsleiter für Außenwirtschaft, „bisher haben die deutschen Firmen im China-Geschäft meistens die chinesischen Staatsunternehmen im Auge und vernachlässigen den privaten Sektor. Aber die Musik spielt in der Zukunft immer mehr im Privatsektor. Darauf sollten sich deutsche Firmen einstellen.“

Allerdings sollten die deutschen Firmen auf einige Besonderheiten bei den chinesischen Privatunternehmen vorbereitet sein. Dass die Privatunternehmen vom Ausland wenig wahrgenommen werden, liegt teilweise auch an den Unternehmen selbst. Denn das Erscheinungsbild der Privatunternehmen vermittelt den ausländischen Geschäftspartnern nicht gerade den Eindruck, dass es sich um erfolgreiche Unternehmer handelt.

In Benxi, einer Industriestadt im hohen Norden Chinas, lernten wir während eines vom DIHT geförderten Managementworkshops für Privatunternehmer in China Yang Yiming kennen. Er lud uns ein, seinen gerade fertig gestellten Supermarkt zu besichtigen. Fast beiläufig erwähnte er, dass er für den Supermarkt 100 Millionen RMB investiert hat, ohne einen Pfennig Kredit und alles aus eigener Tasche finanziert.

Es fiel uns schwer, ihm das zu glauben. Denn Yang Yiming war eine sehr unscheinbare Person. Er sprach leise und vermittelte einen fast schüchternen Eindruck. Weder trug er eine Rolex-Uhr am Handgelenk, noch fuhr er einen Mercedes. Er hat nicht einmal ein vergoldetes Edelhandy wie jeder chinesische Geschäftsmann.

Um so mehr waren wir überrascht, als wir vor seinem neuen Supermarkt standen, der sich als „Shopping Mall“ entpuppte. Auf zwei Ebenen gebaut hatte jede Ebene die Größe von zwei Fußballstadien. Auf die Frage, wie er sein Supermarktgeschäft managen will, antwortete er nicht ohne Stolz: „Wir haben viele ausländische Supermärkte studiert, unter anderem auch Wallmart.“

Zwischen einer westlichen Wahrnehmung der Person Yang Yiming und seinem geschäftlichen Ehrgeiz und Fähigkeiten klaffen Welten.

Die wenigsten chinesischen Privatunternehmen verfügen über Erfahrungen mit ausländischen Geschäftsleuten. Weder die Unternehmer selbst, noch ihre Mitarbeiter sprechen Englisch. „Daran soll es aber nicht scheitern!“, sagte der Veranstalter des Managementworkshops Helmut Schönleber, Leiter des DIHT-Förderprojektes für chinesische Privatunternehmen mit Sitz in Beijing. „In unserer Unternehmensdatenbank sind jetzt mehr als 10000 Privatunternehmen registriert, die Interesse an einer Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen bekundet haben. Die Firmenangaben sind auf Englisch und online abrufbar.“

Seit vielen Jahren verfolgt Schönleber die Entwicklungen in der chinesischen Privatwirtschaft und kennt auch Privatunternehmen in den abgelegensten Regionen Chinas. „Die chinesischen Privatunternehmer sind höchst flexibel und zeichnen sich durch eine sehr hohe Lernbereitschaft aus.“

Diese hohe Lernbereitschaft konnten wir schon während des Managementworkshops feststellen. Mit großem Interesse befaßten sich die Unternehmer auch mit Themen wie effektive Präsentation vor ausländischen Geschäftspartnern oder Verhandlung mit westlichen Geschäftsleuten. Sie zeigten keine Scheu, sich auch im interkulturellen Rollenspiel mit einem deutschen Partner hautnah zu erproben.

Chinesische Privatunternehmer stehen allerdings vor einer noch größeren Herausforderung. Der zunehmende Wettbewerb, auch angesichts des WTO-Beitritts, zwingt auch Privatunternehmen dazu, neue Managementmethoden und Organisationskulturen einzuführen. Auf ihrem Expansionskurs sind sie auf mehr professionelle Manager angewiesen. Diese Manager in die eigenen Unternehmen zu integrieren ist aber keine leichte Aufgabe.

Chinesische Privatunternehmer fühlen sich wie ein Familienoberhaupt und führen die Firma an einer sehr kurzen Leine. Nur selten wird Verantwortung delegiert, und alle wichtigen Entscheidungen werden vom Unternehmer selbst getroffen. Sie arbeiten sehr hart und haben in der Regel einen 16-Stunden Arbeitstag. Sie kümmern sich um alle erdenklichen Belange der Firma. Vergnügen gönnen sie sich meist nur im Rahmen der Kundenbetreuung. Schließlich muß man doch die Kunden zufriedenzustellen.

Werden wichtige Positionen im Unternehmen besetzt, schaut man zunächst im eigenen Verwandtenkreis nach geeigneten Personen. Der Ausgewählte ist aber selten der Fähigste. Er zeichnet sich vor allem durch seine hohe Loyalität aus. In diesem System haben Familienfremde wenig Chancen, in das Entscheidungsgremium aufgenommen zu werden.

Dies trifft in China wiederum auf eine Managergeneration, deren Lebensziel es ist, eines Tages eigener Chef zu sein. „Lieber der Kopf eines Hahns als der Schwanz eines Büffels“, lautet das Motto. Sehr häufig gründen die einst hoch bezahlten Manager ihre eigene Firma und stellen exakt das gleiche Produkt her wie der bisherige Arbeitgeber. Ein Phänomen, das man auch in anderen Regionen des chinesischen Kulturkreises wie Taiwan und Hongkong beobachten kann.

Die hohe Fluktuation von Führungskräften wird nicht zuletzt noch dadurch begünstigt, dass auf dem Arbeitsmarkt gute Manager ohnehin sehr rar sind. Dies verstärkt wiederum die Sichtweise der Privatunternehmer, dass man eben den Familienfremden nicht richtig vertrauen kann, und deshalb hält man um so mehr alle Fäden in den eigenen Händen. Eine Wechselwirkung, die sich so schnell nicht auflösen kann.

Das jüngste Beispiel liefert der Exodus von mehr als 100 Vertriebsmanagern unter Führung von Lu Qianghua, Vertriebsvorstand des Privatunternehmens Chuangwei Group, einer der größten Fernseherproduzenten Chinas. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten kündigten Lu und seine landesweit verteilten Gefolgsleute und wechselten kollektiv zur Konkurrenz. Nun verklagt Lu seinen ehemaligen Arbeitgeber vor Gericht auf noch ausstehende Gehälter und Aktienoptionen und setzt auch die Medien geschickt für seine Belange ein. Dabei soll angeblich auch das Ziel verfolgt werden, dem früheren Brötchengeber Chuangwei Schaden zuzufügen.

Der Fall Lu Qianghua hat in China eine heftige Diskussion über die ethischen Werte professionellen Managements ausgelöst. Die meisten Privatunternehmer klagen über mangelnden Berufsethos der chinesischen Berufsmanager. Auf der anderen Seite klagen die Manager über die mangelnden Fähigkeiten der Unternehmer, Verantwortung zu delegieren und die Manager in Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

Viele Unternehmer haben erkannt, dass das u.a. eine Frage der Unternehmenskultur ist. Auf der Suche nach Antworten auf solche Fragen schaut man gern über die Landesgrenze und insbesondere nach Amerika. Warum können Unternehmen im Westen mehr als einhundert Jahre existieren und sind heute stärker denn je? Was ist das Geheimnis von General Electric und was macht Jack Welch anders?

Einige Privatunternehmer wollen es gründlich wissen und hoffen, die Antwort in den kapitalistischen Think Tanks zu finden. Sie übertragen das Alltagsgeschäft komplett auf befreundete Personen und gehen selbst für Jahre ins Ausland, um an den renommierten Business Schools zu studieren. Nicht selten findet man aber auch unter den Studenten Kinder chinesischer Privatunternehmer, die einen klaren Lernauftrag haben: Die Übernahme des Management nach der Rückkehr und das Unternehmen auf Erfolgskurs für lange Zeit halten!


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